Ein Wettkampf! Ein echter Wettkampf! In der realen Welt!
Nach dem Frankfurter Halbmarathon vor über 5 Monaten fand mit dem Charity Mega Run in Bingen endlich wieder ein echtes Rennen statt und das direkt vor meiner Haustür.
Der Charity Mega Run ist eine Laufveranstaltung über 26 und 52 Kilometer zugunsten der Kinderkrebshilfe Mainz e.V..
Die Laufstrecke der Veranstaltung befindet sich auf dem Radweg zwischen Bingen und Koblenz. Das ist quasi meine Haus und Hof Trainingsstrecke, die ich schon hunderte Mal gelaufen und mit dem Rad gefahren bin.
Ursprünglich hatte ich mich für den 26 km Lauf gemeldet, da ich am darauffolgenden Sonntag eigentlich beim IRONMAN 70.3 in Zell am See an den Start gehen wollte. Da dieser aber, wie so ziemlich jeder Triathlon, abgesagt wurde, kam ich auf die großartige Idee, dass das doch die Gelegenheit ist, mal einen Ultramarathon zu laufen.
Also habe ich mich auf die längere Strecke umgemeldet und so sollte es für mich vom Binger Rhein-Nahe-Eck 52 Kilometer bis St. Goar, gegenüber der weltberühmten Loreley, gehen.
Die Strecke durch das UNESCO-Weltkulturerbe Oberes Mittelrheintal ist landschaftlich unglaublich schön. Direkt am Rhein gelegen geht es vorbei an Weinbergen und zahllosen Burgen. Die Strecke ist flach, hat aber den Nachteil, dass fast immer ein kräftiger Wind weht. Wenn man Pech hat, dann kommt der Wind auf Hin- und Rückweg von vorne.
Ich hatte schon im Vorfeld gehörigen Respekt vor der Distanz und als mein Coach das Lauftraining deutlich angezogen hat, habe ich mich selbst für diese Entscheidung verflucht.
An den letzten beiden Wochenenden vor dem Wettkampf standen 37 und 40 Kilometer auf dem Plan. Bei gut 35°C kein Zuckerschlecken, denn ein weiterer Nachteil der Strecke ist, dass sie kaum Schatten bietet.
Eigentlich wollte Michelle über die 26 Kilometer starten. Da sie aber mal wieder eine Laufverletzung plagte, entschied sie sich vernünftigerweise dazu nicht zu starten. Des einen Leid, des anderen Freud, denn so konnte sie mich auf dem Rad begleiten.
Am Samstag morgen sind wir vor dem Frühstück schnell an den Rhein um die Startunterlagen abzuholen . Es gab einen schönen Beutel mit allerlei Goodies.
Zuhause dann ein paar Brötchen mit Honig gefrühstückt, in Schale geworfen und die 500 Meter zum Start gelaufen. Ein Blick aus dem Fenster auf den stark bewölkten Himmel führte zur großartigen Entscheidung: „Sonnencreme brauchst du heute nicht“.
Der Charity Mega Run
10:30 Uhr, Startaufstellung, die Nervosität steigt, der Countdown läuft…. und es geht los.
Mein Coach Mättz hat mir als Renntaktik folgendes mitgegeben: Laufe mit 4:20 bis 4:30 pro Kilometer los und schau mal nach der Hälfte, ob du etwas anziehen kannst.
Das hat mich doch etwas erstaunt, da ich sonst härtere Vorgaben von ihm gewohnt bin. Außerdem hatte ich für mich selbst schon ein etwas ambitionierteres Ziel gesteckt. Mein Minimalziel war unter 4 Stunden zu laufen. Doch mein eigentlicher Plan war es den Marathon unter 3 Stunden zu laufen und die 52 Kilometer unter 3:40. Um das zu erreichen, musste ich also mindestens einen Pace von 4:14 laufen.
Sorry Coach, heute mal nicht nach Plan!
Wie es dann im Rennen so ist, man läuft ja erstmal zu schnell an. Aber es lief und so lies ich es erstmal rollen. Was man hat, das hat man.
Nach 5 Kilometern bemerkte ich, dass sich das Tape auf meinem Fuss, das ich zur Blasenprävention aufgebracht hatte, gelöst hat. Es half nichts, ich musste stehen bleiben, Schuh aus, Socke aus, Tape ab und alles wieder anziehen. 30 Sekunden verschenkt. Amateur!
In solchen Momenten ärgere ich mich maßlos über mich selbst. Sowas ist echt unnötig.
Zwischenzeitlich kam natürlich der Wind und blies mir nicht nur frontal entgegen, nein, auch alle Wolken fegte er vom Himmel und lies die Sonne in voller Pracht erstrahlen. Hätte mich wohl doch besser mal eingecremt.
Nach 5 Kilometern dann die erste Verpflegungsstelle. „Magst du Iso?“ – „Nein, Wasser, bitte!“ – „Sorry, wir haben noch kein Wasser“. Äh, what? Also das ist natürlich eine Organisationspanne, die so nicht passieren darf. Es ist warm, die Sonne knallt, man hat noch 47 Kilometer zu laufen und es gibt kein Wasser?
Zum Glück hat mich Michelle begleitet und so war der Wassermangel für mich kein Problem, denn auch an der zweiten Verpflegungsstelle gab es noch kein Wasser! Erst nach 13 Kilometern an der dritten Verpflegunsstelle gab es dann endlich auch Wasser. Hätte ich Michelle nicht gehabt und mich auf die offizielle Verpflegung verlassen, dann wäre der Tag wahrscheinlich deutlich härter geworden.
Es wird hart
So ging es weiter auf meiner gewohnten Laufstrecke durch die Weindörfer am Rhein und vorbei an der Burg Pfalzgrafenstein, die mitten im Rhein gelegen ist, bis nach Oberwesel. Bis hier war ich noch nie gelaufen.
Aber natürlich kenne ich die Strecke vom Radfahren. An der engsten Stelle des Rhein zieht sich der sehr schmale Weg schier endlos bis zum Loreley Felsen. Der Wendepunkt! Endlich!
Die Hälfte ist geschafft, Pace ist super, noch geht es mir gut.
Es geht auf gleichem Weg zurück Richtung Bingen. Mir kommen jetzt all die anderen Läufer entgegen. Man grüßt sich und feuert sich gegenseitig an.
Nach 37 Kilometern erreiche ich den Punkt, an dem ich denke, dass es jetzt eigentlich reicht. Ab da wird es irgendwie schwieriger, die Lust weiter zu laufen lässt deutlich nach.
Ich beginne mir den Rest der Strecke in kleine Häppchen zu zerteilen. Noch 3 Kilometer bis zum nächsten Ort Bacharach, noch 5 Kilometer bis zum Marathon.
Die 42,2 Kilometer Marke überschreite ich nach knapp 2:57 Stunden. Ziel Nummer 1 ist schon mal erreicht. Jetzt sind es ja nur noch 10 Kilometer. „Nur“!
Der Smalltalk mit Michelle kommt zum Erliegen. Das Leiden beginnt, ich fauche nur noch ab und an mal nach Wasser. Auf der Strecke gibt es immer mal wieder kleine Rampen. Ich entscheide mich, diese hoch zu gehen und währenddessen zu trinken und mich etwas abzukühlen. Die paar Sekunden, die ich dadurch verlieren, sind mir mittlerweile egal.
Die letzen 5 Kilometer. Hier kenne ich wirklich jeden Stein, ich bin sie hunderte mal gelaufen. Ich weiß, es ist nicht mehr weit. 5 Kilometer – das ist doch ein Klacks.
Mein Oberschenkel fängt an zu krampfen. Ich blicke immer wieder auf die Uhr. Die prognostizierte Zielzeit ist immer noch unter meiner angepeilten Marke. Ich treibe mich selbst immer wieder an: „Komm, dass machst du nur einmal. Reiß dich zusammen und verschenke auf den letzten Kilometern nicht, was du dir die letzten Stunden erarbeitet hast“.
Irgendwie geht es ja dann doch zu Ende und ich biege um die letzte Kurve Richtung Rhein-Nahe-Eck.
Vor dem Zielbogen steht jemand mit einem Gartenschlauch. Die kalte Dusche ist der Himmel auf Erden.
Ziellinie, Uhr stoppen, hinsetzen. 3:37:45 – GEIL!
Der Schmerz geht, der blabla…
Ich schütte innerhalb von kürzester Zeit vier Becher Cola in mich und brauche eine Viertelstunde, bis ich wieder einigermaßen beisammen bin.
Das Aufstehen tut weh, das Gehen noch mehr und ich glaube, ich habe ziemlichen Sonnenbrand.
Ich bin super zufrieden. Alles was ich wollte, habe ich erreicht.
Am Ende bin ich sogar Zweiter, hinter dem extra für den Charity Mega Run aus Spanien eingeflogenen Ultraläufer und mehrfachen Rekordhalter Iván Penalba López. Bei meinem ersten Ultra „nur“ 9 Minuten Rückstand auf einen Top-Spezialisten lässt sich doch sehen.
Aber eine neue Liebe ist heute sicher nicht entstanden. Ultrarunning und ich werden wahrscheinlich keine Freunde. So cool und faszinierend die Bücher und Dokumentationen über diesen Extremsport sind, für mich hört der Spaß bei 42,195 Kilometern auf.
Klar, die 100 Kilometer stehen – wie bei fast jedem Läufer – auf der Bucket-List, aber vielleicht braucht man auch ein paar Ziele, die unerfüllt bleiben?
Strava Aktivitäten zu diesem Rennen
Infos zum Charity Mega Run auf der Veranstalter Webseite