Marathon Pour Tous Paris 2024 – Ein Olympischer Traum

Einmal bei Olympia dabei sein? Das ist wohl ein Traum, den viele Sportler hegen, der jedoch für die meisten von uns unerreichbar ist.
Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris wurde dieser Traum für einige tausend Amateure Wirklichkeit. Mit dem Marathon Pour Tous wurde erstmals ein Marathon für Amateure während einer Olympiade organisiert, der auf der olympischen Wettkampfstrecke ausgetragen wurde. Damit ist man natürlich immer noch kein Olympionike, aber man durfte zumindest ein bisschen Olympia Luft schnuppern.

Ich war einer der 20.024 Glücklichen, die einen Startplatz erhalten haben und diesen Marathon laufen durften.
Mein 35. Solo-Marathon sollte also der Marathon Pour Tous werden. Man kann sich wohl kein schöneres Jubiläum vorstellen.

Mein Weg zum Marathon Pour Tous

Ein Startplatz für den Marathon Pour Tous

Im Sommer 2021 hörte ich zum ersten Mal davon, dass während der Olympiade in Paris ein  Marathon auf der Olympischen Marathonstrecke für Amateure organisiert werden sollte.
Mir war sofort klar, dass ich bei diesem einzigartigen Lauf dabei sein wollte.
Doch wie kommt man an einen Startplatz?

Ende des gleichen Jahres installierte ich mir dann die Marathon Pour Tous App, in der über verschiedene Lauf-Challenges immer wieder Startplätze für den Marathon verlost wurden. In der Folgezeit nahm ich an fast jeder dieser Challenges teil, doch ich hatte nie Glück und ging bei jeder Verlosung leer aus.
Nahmen am Anfang nur etwa 4.000 Menschen an einer Challenge teil, so steigerte sich dies bis in den Herbst 2023 auf weit über 50.000 pro Verlosung. Die Chancen auf einen Startplatz sanken mit der Zeit also dramatisch.

Zudem gab es auch immer mal wieder Gewinnspiele auf diversen Plattformen. Doch auch hier ging ich immer leer aus.

Zum Jahresende 2023 endet die Vergabe der Slots. Über 400.000 Menschen weltweit hatten sich um einen Startplatz beworben. Ich war trotz aller Bemühungen leer ausgegangen. Mein Traum von Olympia war geplatzt.

Marathon Pour Tous Eiffelturm bei Nacht

Was heißt eigentlich “dossard”?

Am 09. Februar 2024 poppte plötzlich eine Email mit dem Betreff “Ton dossard pour le 42,195 km du Marathon Pour Tous Paris 2024”  in meinem Postfach auf.
Mein Französisch ist allerdings nicht gut genug, um auf den Inhalt der Email zu schließen, denn ich kannte das Wort “dossard” nicht.
Als ich dann aber die Mail öffnete und die Worte “PATRICK, TU L’AS FAIT in dicken schwarzen Großbuchstaben las, bekam ich eine fette Gänsehaut, denn diesen Satz verstand ich. “PATRICK, DU HAST ES GESCHAFFT”.
Ich habe einen Startplatz für den Marathon Pour Tous in Paris!

Marathon Pour Tous Zusage

Ich kann es kaum fassen und denke erst an einen Fake, denn schließlich wurde die Vergabe doch vor zwei Monaten beendet.
Aber die Mail ist echt. Warum und wieso ich den Startplatz bekommen habe, ist mir in dem Moment vollkommen egal. Ich habe ihn und ich freue mich riesig.

Dass ich zu diesem Zeitpunkt aufgrund einer Knochenhautentzündung keinen Meter schmerzfrei gehen kann, trübt meine Freude nicht, denn ich weiß, dass ich diesen Marathon laufen werde, komme was da wolle.

Der Traum ist wahr

Dann kam die erste Mail mit Informationen zur Veranstaltung und ich war mir wirklich sicher, dass ich tatsächlich dabei bin.

Als ich dann zum ersten Mal den Streckenverlauf sah, war ich doch sehr überrascht von dem harten Kurs. Über 430 Höhenmeter hatte die Strecke, welche sich hauptsächlich auf zwei Steigungen verteilten und eine maximale Steigung von 13,5° aufwiesen. Das hätte ich bei einem Olympischen Marathon nicht erwartet. Das ist ja schon fast ein Berglauf.

Die Strecke führt, ausgehend vom Hotel de Ville im Stadtzentrum, vorbei am Louvre und entlang der Seine bis zum Eiffelturm. Dann geht es über die erste Steigung zum Schloss von Versailles, bevor es nach der zweiten Steigung zurück nach Paris geht, wo der Marathon vor dem Invalidendom endet.

Marathon Pour Tous Die Strecke

Zusätzlich zum Marathon wurde auch noch ein 10-Kilometer-Lauf veranstaltet, für den weitere 20.024 Startplätze vergeben wurden.

Der zweite ungewöhnliche Punkt an diesem Marathon, neben dem Streckenprofil, war die Startzeit.
Das Rennen sollte zwischen dem olympischen Marathon der Männer am Samstagmorgen und dem Marathon der Frauen am Sonntagmorgen ausgetragen werden.
Die erste Startwelle sollte erst um 21 Uhr starten und die letzte um 22:10 Uhr. Der Zielschluss war mit 4:30 Uhr angegeben.
Das sind Uhrzeiten zu denen ich in der Regel schlafe. Deshalb war ich heilfroh, dass ich der ersten Startgruppe zugeordnet wurde.

Eine weitere Überraschung war die Teilnahmegebühr. Der Start beim Marathon Pour Tous war nämlich kostenlos.

Wir fahren nach Paris

Wir springen etwas in der Zeit. Es sind nur noch wenige Tage bis zum Marathon Pour Tous. Meine Laufverletzung ist nach einem halben Jahr Laufpause auskuriert, doch mein Lauftraining ist noch immer weit entfernt von gewohnten Umfängen. Dank meiner langjährigen Erfahrung auf der Marathonstrecke bereitet mir das aber wenig Kopfzerbrechen.
Außerdem habe ich ja bereits beim Ironman Klagenfurt im Juni erfolgreich getestet, ob es für einen Marathon reicht.

Wir haben zwischenzeitlich sechsmal das Hotel umgebucht, weil die anfangs sehr hohen Hotelpreise immer weiter gepurzelt sind, je näher das Wochenende unserer Reise kam.

Im Vorfeld habe ich auch versucht Karten für die Leichtathletik am Freitagabend zu bekommen, doch leider waren die verfügbaren Karten außerhalb unseres Budgets.
Dafür hat ein Vereinskollege uns großzügigerweise zwei Tickets für den Zieleinlauf des Männer-Marathon überlassen.

Bonjour Paris

Unser Zeitplan für das Wochenende war straff. Am Freitagmorgen ging es sehr früh mit der Bahn nach Paris, wo wir morgens um 10 Uhr ankamen. Zurück sollte es am Sonntagabend gehen.

Marathon Pour Tous ICE nach Paris

Da wir so früh noch nicht in unser Hotel konnten, wollte ich erstmal die Startunterlagen abholen.
Weil es in Paris ein sehr gutes Netz an Fahrrad-Stationen gibt, an denen man sich Citybikes leihen kann, wurde das Rad das Transportmittel unserer Wahl für das Wochenende.
So ging es mit dem Rad samt Gepäck vom Gare de l’Est zum Eiffelturm.

Die Radinfrastruktur in Paris ist mittlerweile unglaublich gut. Über weite Teile gibt es Radwege, die baulich von der Straße getrennt sind. Dazu die Citybikes, die man für nur fünf Euro am Tag leihen kann. Schneller und günstiger kann man sich in Paris nicht fortbewegen. Zusätzlich sieht man noch enorm viel von der Stadt.

Besonders auffällig ist auch, wie weit die Verkehrswende in Paris vorangeschritten ist. Bis auf Taxis und Busse, gibt es kaum Autos in der Stadt und es zeigt sich, wie viel attraktiver und lebenswerter eine Stadt dadurch wird. Wir waren wirklich begeistert und haben in den drei Tagen fast 60 Kilometer auf den Rädern zurückgelegt.

Marathon Pour Tous Mit dem Rad durch Paris

10491 – Meine Startnummer für den Marathon Pour Tous

Am Stade Emile Anthoine, wo die Startnummern ausgegeben werden,  angekommen, bin ich doch überrascht, wie lang die Warteschlange ist. Bis zum Einlass der Startnummernausgabe schlängeln sich die Teilnehmer über gut 600 Meter entlang der abgesperrten Straße. Das kann dauern.
Wir stehen mit unserem Gepäck für eine Stunde in der Sonne und schwitzen, bis ich nach kurzem Taschen- und Körpercheck eingelassen werde.
Die Ausgabe ist auf einem Sportplatz am Fuße des Eiffelturms aufgebaut. Ich bekomme den Umschlag, in dem sich meine Startnummer befindet. 10491. Ich bin wirklich dabei.

Wir radelten zum Hotel, welches sich in Laufweite zum Start und Ziel des Marathon befindet, um endlich unsere Taschen loszuwerden.
In der kleinen ruhigen Seitenstraße finden wir auch eine Pizzeria, die so gut ist, dass wir sie noch dreimal aufsuchen werden. 

Nike Custom Workshop

Viel Zeit zum Ausruhen bleibt uns allerdings nicht, denn wir haben bei Distance Running einen Platz für einen Nike Custom Workshop ergattert, wo wir unter der Anleitung eines Sneaker-Designers ein paar Laufschuhe umgestalten dürfen.

Der Laden ist ziemlich stylisch und während Olympia die Basis für einige Laufschuhmarken, die sich hier im Wechsel präsentieren.
Als wir dort eintreffen, wird gerade die neue Nike Olympia Edition angeboten und der Laden ist entsprechend gestaltet.
Direkt daneben befindet sich noch der Pop-Up Store von Maurten. Das ist alles schon sehr cool gemacht.
Generell haben viele Sportartikelhersteller spezielle Läden während Olympia eröffnet, doch leider fehlt uns die Zeit, noch weitere davon zu besuchen. 

Die nächsten drei Stunden verbringen wir damit, zusammen mit einigen anderen Auserwählten, das uns anvertraute Paar Nike-Schuhe mit Cutter, Schere, Schleifgerät und Klebstoff zu bearbeiten

Das Ergebnis ist mehr oder weniger gelungen. Ich habe mein Paar mit einigen unglücklichen Entscheidungen ziemlich gekonnt ruiniert. Aber am Ende zählt der Spaß und den hatten wir.

Nach einem schnellen Abendessen ging es dann wieder ins Hotel, um früh ins Bett zu kommen, da der nächste Tag sehr anstrengend werden sollte.
Vor dem Schlafen stand bei mir allerdings noch ein kurzer Aktivierungslauf auf dem Programm.
Leider konnte ich, wie bereits vor der Challenge Roth, überhaupt nicht gut schlafen und lag die halbe Nacht wach. So ein Mist.

Der Marathon der Männer

Als um 6:45 Uhr der Wecker klingelt, fühle ich mich wie gerädert. Der Garmin Sleep Coach bestätigt mir den miserablen Schlaf und bescheinigt mir einen schlechten Trainingszustand. Das ist wenig überraschend.

Aber wie gesagt, der Zeitplan ist straff und so bleibt keine Zeit zum Jammern. Um 8 Uhr startet bereits der Marathon der Männer.
Wir machen uns auf den Weg zum Louvre und finden unterwegs zum Glück einen Bäcker, der bereits geöffnet hat. So bekomme ich zumindest einen Kaffee und eine Tüte voller Pain au Chocolat.

Wir positionieren uns eine halbe Stunde vor dem Start an der Ein-Kilometer-Marke und ergattern noch einen Platz in der ersten Reihe. Wenig später ist die Strecke, soweit das Auge reicht, von Menschen gesäumt.
Die ersten Streckenfahrzeuge passieren uns unter dem Jubel der Zuschauer. Die Luft knistert vor Aufregung.

Sie kommen

Wenig später ist in der Ferne das Tosen der Zuschauer zu hören, welches wie eine Welle auf uns zu rollt, bis es uns erreicht. Dann biegen auch schon die Läufer um die Ecke und die Menge explodiert. Es ist eine unglaubliche Atmosphäre.
Noch sind alle Läufer eng beieinander und wenige Sekunden später um die nächste Ecke verschwunden.

Marathon Pour Tous Start des Männer Marathon

Eine Menge von hunderten Menschen eilt im Laufschritt zum Ausgang des Louvre an der Seine, der etwa einen Kilometer entfernt ist. Dort befindet sich Kilometer 5.
Kaum haben wir uns einen Platz an der Strecke gesichert, beginnt das Schauspiel erneut. Ferner Jubel brandet auf, der langsam näher kommt, bis die Läufer in Sicht kommen.
Was für ein Schauspiel. 

Da die Strecke nun schnurgerade nach Versailles führt, haben wir keine weitere Möglichkeit, das Feld vor dem Zieleinlauf noch einmal zu sehen.
Außerdem hatten wir ja die Eintrittskarten für den Zieleinlauf am Invalidendom. Deshalb machten wir uns direkt auf den Weg dorthin, wo wir von der Tribüne aus das Rennen auf dem Großbildschirm verfolgen konnten.

Marathon Pour Tous Selfie

Im Stadion am Invalidendom

Als gezeigt wurde, wie die Läufer bei Kilometer 28 die zweite Steigung hinauf liefen, wusste ich, dass das kein Zuckerschlecken wird.
Für einige der Titelaspiranten zerplatzten an diesem Hang alle Medaillen-Träume.

Zudem war es bereits sehr heiß und die Sonne knallte ganz ordentlich.
Wir waren wirklich froh, dass wir einen Platz auf der schattigen Tribünenseite hatten.

Nach gut zwei Stunden wurde das Stadion unruhig. Alle standen und warteten auf die ersten Läufer. Der Helikopter am Himmel kam immer näher. Das Publikum vor dem Stadion wurde immer lauter und dann lief Tamirat Tola auf den blauen Teppich und unter tosendem Beifall ins Ziel.
2:06:26. Olympischer Rekord auf dieser Strecke und bei diesen Konditionen. Unglaublich.

Marathon Pour Tous Stadion Invalidendom
Marathon Pour Tous Zieleinlauf Tamirat Tola

Aber nicht nur die ersten drei Männer wurden vom Stadion gefeiert. Bis zum letzten Finisher Bat-Ochiryn Ser-Od aus der Mongolei, wurde jeder frenetisch empfangen und beklatscht.

Ich brauche eine Pause 

Nach der Medaillen-Zeremonie hieß es dann für uns zurück ins Hotel. Ich musste mich vor meinem Marathon dann doch noch etwas ausruhen und ich hoffte sehr, dass ich noch etwas Schlaf nachholen könnte.
Vorher gab es aber noch eine Pizza von unserem neuen Lieblingsitaliener zur Stärkung.

Marathon Pour Tous Award Ceremony

Drei Stunden später klingelt der Wecker. Es ist fast fünf Uhr am Nachmittag. Ich konnte zum Glück nochmal schlafen. Ich fühlte mich aber nicht viel fitter als am Morgen und es war mir nicht unbedingt danach, am Abend einen Marathon zu laufen. 

Es folgte ein zweites Frühstück bestehend aus drei Maurten Riegeln und dann machte ich mich so langsam fertig für den Lauf. Kurz darauf liefen wir die eineinhalb Kilometer Richtung Louvre zur Gepäckabgabe.
Nachdem ich mich umgezogen und meine Sachen abgegeben hatte, suchten Michelle und ich uns ein schattiges Plätzchen, um auf den Start zu warten.

Der Marathon Pour Tous

Gegen 20:30 Uhr verabschiedete ich mich dann von Michelle und begab mich in meinen Startblock.
Ich war wirklich froh im ersten Block zu sein und nicht noch länger auf meinen Start warten zu müssen. Normalerweise gehe ich um 22 Uhr ins Bett und nicht einen Marathon laufen.

Marathon Pour Tous Vorstart

Der Startblock war schon gut gefüllt. Ich fand aber noch ein freies Plätzchen am Rand, um mich hinzusetzen.
10 Minuten vor dem Start ging es dann los. Wir durften den eigentlich Startbereich vor dem Hotel de Ville betreten.
Die Kulisse vor dem Rathaus von Paris im Abendrot war magisch. Die Spiele in Paris sind auf jeden Fall die Spiele der opulenten Bilder.

Der Startbogen befindet sich am Ende der Startaufstellung auf der linken Seite, sodass man zum Start eine 90° Kurve laufen muss. Man konnte also die eigentliche Laufstrecke noch nicht einsehen.

Ich frage mich, wie viele Zuschauer wohl an der Strecke sein werden. Immerhin ist es schon recht spät und in einer halben Stunde wird es bereits dunkel. Außerdem finden parallel ja auch noch unzählige olympische Wettkämpfe statt.

Marathon Pour Tous Hotel de Ville

Der Startschuss zum Marathon Pour Tous

Dann erklingt die Olympische Hymne. Ich stehe bei Sonnenuntergang mit tausenden Läuferinnen und Läufern aus aller Welt vor dem Hotel de Ville.
Das ist der Moment, in dem ich wirklich realisiere, wo ich gerade bin und was ich gleich erleben darf. Ich habe Gänsehaut.

Der Startschuss ertönt. Die Menge bewegt sich langsam Richtung Start und fällt in einen lockeren Trab. Dann biegen wir nach links ab durch den Startbogen und mir verschlägt es den Atem.

Wir laufen durch einen Kanal aus LED-Säulen, auf denen in bunt animierten Schriftzügen “Go! Go! Go!” aufleuchtet. An der Strecke links und rechts stehen Menschenmassen in unzähligen Reihen. Der Lärm und der Jubel sind ohrenbetäubend.
Darauf war ich nicht vorbereitet.
Ich werde ein bisschen emotional und meine Augen werden etwas feucht. Was ist hier bitte los?
Selbst jetzt, wo ich einige Tage später diesen Bericht schreibe, läuft mir noch ein Schauer über den Rücken.

Marathon Pour Tous Nach dem Start

Das Schreien, Brüllen und Jubeln nimmt kein Ende. Die Masse an Zuschauern ist gigantisch. Die Zuschauer feiern die Läufer und die Läufer feiern die Zuschauer.
Ein nicht enden wollender Gänsehaut-Moment. 

Party in Paris

Mit Michelle hatte ich im Vorfeld vereinbart, dass sie bei Kilometer eins und fünf wartet, also  an den gleichen Punkten, an denen wir bereits am Morgen das Rennen der Männer verfolgt haben.
Doch ich kann sie an der Kilometermarke nicht entdecken. Zu groß ist die Masse aus Menschen, Fahnen und Transparenten. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass am Abend des Amateuer-Rennens noch viel mehr Menschen an der Strecke sind, als beim olympischen Marathon selbst.
Es sind nicht nur ein paar Zuschauer mehr, sondern eher das Doppelte oder sogar Dreifache.

Marathon Pour Tous Kilometer 1

Die Menschenmassen reißen nicht ab. Auch bei Kilometer 5 habe ich keine Chance, Michelle in der Menge auszumachen.

Ich habe mir im Vorfeld schon gesagt, dass dies ein Lauf zum Genießen wird und genau das tue ich.
Ich laufe in den Kurven die etwas längere Außenbahn, da dort sonst kaum jemand läuft und klatsche unzählige Hände ab, die mir entgegengestreckt werden.

Wenn die Zuschauer zu einer Reaktion animiert werden, dann wird dies umgehend mit unbeschreiblichem Jubel quittiert.
Ein konstanter Klangteppich aus „Allez, Allez!“-, „Go, Go, Go“- und „Courage“-Rufen begleitet uns.
Man sieht es allen Teilnehmern an, dass sie genauso überwältigt sind wie ich und viele Läufer fachen mit Gesten die Stimmung immer noch mehr an.
Wie sehr kann eine Stadt den Sport feiern?

Marathon Pour Tous Kilometer 5

Entlang der Seine durch Paris

Im Vorfeld hatte ich damit geliebäugelt, den Marathon in unter drei Stunden zu laufen. Auf dem ersten Kilometer verlor ich allerdings bereits fast eine Minute, weil die Strecke einfach zu voll und kein Durchkommen war.
Ab dem zweiten Kilometer war ich dann aber auf Kurs. Kein Wunder, wenn man wirklich permanent angeschrien und angetrieben wird.

Es ging vom Louvre aus immer an der Seine entlang in Richtung Eiffelturm.
Wie man es vom regulären Paris Marathon kennt, geht es auf diesem Weg durch einige Straßentunnel. In den Tunneln gab es immer wieder spektakuläre Lichtinstallationen gepaart mit hämmernden Beats. Am Ausgang der Tunnel wartete dann wieder eine frenetische Zuschauermenge, die die Läufer die Auffahrt nach oben peitschte.

Nach knapp 10 Kilometern passierten wir den Eiffelturm. Mittlerweile war es dunkel geworden. Das beleuchtete Wahrzeichen der Stadt mit den Olympischen Ringen ist einfach eine unglaublich tolle Kulisse und sorgte für den nächsten Gänsehaut-Moment.

Obwohl die Sonne bereits untergegangen war, zeigte das Thermometer immer noch fast 30°C. Der Schweiß läuft mir in Strömen, aber ich liege weiterhin auf Sub3-Kurs.

Am Streckenrand werden die Massen langsam etwas weniger, doch es gibt kaum einen Meter an der durchgehend abgegitterten Strecke, an dem keine Zuschauer stehen und immer wieder gibt es größere Stimmungsnester.

Marathon Pour Tous Stimmung

Der erste Anstieg nach Versailles

Nach 15 Kilometern erreichen wir den ersten der beiden Anstiege. Es geht für gut fünf Kilometer eine durchschnittliche Steigung von 2,5% hinauf. Das ist schon recht ordentlich. Trotzdem komme ich ganz gut damit zurecht und kann meine Pace bei 4:30 halten.
Auf den folgenden sieben Kilometern geht es wieder leicht bergab und ich hole die verlorene Zeit wieder auf.

Wir passieren das Schloss von Versailles, das hell erleuchtet vor uns aufragt.
Die Marathonstrecke nach Versailles sollte den Protestmarsch der Pariser Frauen nach Versailles am 5. Oktober 1789 ehren, einen besonderen Moment der Französischen Revolution. Die Organisationen haben wirklich verstanden, Symbolik und Geschichte der Stadt für die Spiele zu nutzen und vor allem auch die Frauen mehr in Szene zu setzten. So wurden auch die Startplätze für den Marathon Pour Tous gerecht zu beiden Teilen an Frauen und Männer vergeben.

Gefühlt laufen wir irgendwo im Nirgendwo. Zum Teil ist es wirklich sehr dunkel auf den Straßen. Doch trotzdem stehen noch immer überall Zuschauer an der Strecke und regelmäßig passieren wir große Parties mit Musik und Lichteffekten, wo die Menschen feiern.

Ich lasse es mir weiterhin nicht nehmen, die uns entgegen gestreckten Hände abzuklatschen und es ist einfach nur schön, wie sehr sich sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen darüber freuen.
Bei diesem Marathon wird jeder Läufer wie ein Rockstar gefeiert. Jede Aufforderung an die Zuschauer laut zu werden, wird entsprechend beantwortet und mit immer neuen Anfeuerungsrufen belohnt.
Die Stimmung trägt förmlich über die Strecke und verleiht wahrlich Flügel.

Marathon Pour Tous Laufen bei Nacht

Heartbreak Hill

Doch es wartet noch eine echte Herausforderung auf uns. Die zweite Steigung bei Kilometer 29.

Als am Horizont ein Spalier aus bunten Lichtbögen auftaucht, das quasi senkrecht den Berg hinauf führt, weiß ich, dass es jetzt richtig hart wird. Aber es schaut zumindest sehr geil aus.
Es folgen 1200 Meter mit einer durchschnittlichen Steigung von  6,4%, wobei die letzten 700 Meter sogar einen Durchschnitt von über 9% aufweisen. 13,5% hat es an der steilsten Stelle. Hier haben die Streckenplaner einen echten Härtetest eingebaut.

Es geht durch die Bögen aus bunten Leuchtstoffröhren unter den peitschenden Rufen des Publikums nach oben.
Ich verfalle in einen langsamen Trab.
Als die Lichtbögen enden, ist es auf einmal stockdunkel. Die Straße wird immer steiler. Kaum jemand um mich herum läuft noch. Auch ich unterbreche meinen ohnehin nur noch sehr langsamen Lauf, um kurz im Stechschritt etwas Luft zu holen und den übersäuerten Muskeln eine kurze Pause zu gönnen.
Doch die Zuschauer pushen uns weiter. Wo kommen die eigentlich alle her? Hier auf dieser Landstraße ist sonst weit und breit nichts.

Downhill

Endlich oben angekommen, wird es eigentlich erst richtig schlimm, denn auf der anderen Seite geht es die nächsten drei Kilometer mit 5% Gefälle wieder nach unten.
Ich lasse es laufen, so gut es geht. Die Beine fliegen über den Asphalt. Meine Oberschenkel explodieren durch die Belastung. Ich rudere mit den Armen, um das Tempo etwas zu verlangsamen.
Lange halte ich das nicht mehr aus, aber die abschüssige Straße nimmt kein Ende.

Endlich unten angekommen, bin ich knapp vier Minuten über meiner angepeilten Zielzeit.
Meine Beine brennen und ich stehe vor der Wahl, entweder die letzten sieben Kilometer richtig hart zu laufen, um vielleicht noch unter drei Stunden zu bleiben, oder den Rest dieses einmaligen Marathon zu genießen und auf die Zeit zu pfeifen.

Ich entscheide mich für Letzteres.

Die letzten Kilometer des Marathon Pour Tous

Es geht zurück in Richtung Innenstadt. Am Horizont erscheint der Eiffelturm, der mit seinem Licht den Weg weist.
Als ich ihn einige Zeit später passiere, beginnt er zu funkeln und zu glitzern. Eine speziell für Olympia installierte Lightshow, die zu jeder vollen Stunde erstrahlt.
Was für ein Timing!

Ich bleibe stehen, betrachte das Spektakel und schieße mit meinem Handy ein Foto.
Dann gehe ich zu einem der Zuschauer und bitte ihn, ein Foto von mir zu machen.
Diesen Moment werde ich nie vergessen, aber jetzt habe ich ihn sogar für das Fotoalbum verewigt.

Marathon Pour Tous vorbei am Eiffelturm

Ich laufe weiter und freue mich darauf, Michelle bei Kilometer 40 zu sehen. Leider kann sie nicht direkt an die Strecke, da an dieser Stelle der 10-Kilometer-Lauf mit dem Marathon zusammengeführt wird und sie auf der falschen Seite der Strecke steht.
Diese Zusammenführung ist leider nicht ganz so schön, da man nun auf den letzten beiden Kilometern permanent von den deutlich schnelleren Läufern des 10er überrannt wird.

Marathon Pour Tous Kilometer 40

Je näher wir dem Ziel kommen, desto größer wird auch die Menge der Zuschauer.
Auf dem letzten Kilometer werde wir von dem stampfenden Schlagen von hunderten Händen auf die Banden der Absperrungen begleitet. Paris ist in Ekstase.

Dann geht es um die letzte Kurve und hinein ins Stadion vor dem Invalidendom, wo ich 14 Stunden zuvor selbst Zuschauer des Olympischen Marathon der Männer war.
Die letzten Meter vor dem Ziel gehe ich und genieße einfach die Atmosphäre. Ich will diesen Moment möglichst lange auskosten.
Die Zeit ist mir mittlerweile so egal, dass ich sogar vergesse meine Uhr zu stoppen.
Ich bin einfach nur unglaublich dankbar, dass ich an diesem Lauf teilnehmen durfte. 

Marathon Pour Tous Ziellinie

Der lange Weg ins Hotel

Hinter der Ziellinie gibt es eine schöne Medaille als Andenken und ich genieße noch einen Augenblick das Geschehen.

Im Afterrace-Bereich gab es, wie auf der Strecke, nur Wasser. Zudem wurde reichlich Obst und Kuchen angeboten. Ich hätte mich sehr über eine eiskalte Brause des Hauptsponsors der Spiele gefreut. Die gab es aber leider nicht.

Marathon Pour Tous Finisher

So verlasse ich zügig den Bereich und treffe mich mit Michelle. Nach ein paar Fotos hole ich noch meine Tasche mit der trockenen Kleidung und ziehe mich um.
Mittlerweile ist es schon fast 1 Uhr.
Ich bin todmüde und freue mich auf etwas Schlaf. Wir entscheiden uns, ins Hotel zu laufen. Doch nach einigen hundert Metern ist kein Weiterkommen. Mehrere Krankenwagen versperren den Weg.
Es brauchen doch einige der Läufer medizinische Hilfe. Ich habe noch nie gesehen, dass sich so viele nach dem Finish übergeben haben. Hier fordern der Kurs und die Temperaturen wohl ihren Tribut.

Wir entschließen uns dazu, zwei Räder zu nehmen und auf der anderen Seite der Seine zu unserem Hotel zu fahren.
Doch auch dieser Plan hatte seine Tücken, denn oft versperrten uns Wettkampfstätten oder die Marathonstrecke den Weg, welche wir dann großräumig umfahren mussten.
So dauerte es bis 2 Uhr, bis wir endlich in unserem Hotel ankamen, wo ich nach einer schnellen Dusche ins Koma fiel.

Marathon Pour Tous Happy Finisher

Der Marathon der Frauen

5 Stunden später reißt der Wecker mich aus dem Tiefschlaf.
Da die Frauen denselben Support wie die Männer verdient haben, wollen wir natürlich auch zum Start des Frauen Marathon gehen.
Erstmals ist das Rennen der Frauen der Abschluss der olympischen Leichtathletik Wettbewerbe und nicht wie bisher der Marathon der Männer. Eine weitere Geste der Pariser Spiele den Frauen mehr Gewicht zu geben.

Wir machen uns wieder auf zu unseren angestammten Plätzen bei Kilometer eins und fünf, um die Frauen anzufeuern.
Das Pariser Publikum enttäuscht auch heute nicht und so wird auch das Frauen-Rennen von einer großen Zuschauermenge begleitet.

Marathon Pour Tous Frauen Marathon KM 1

Nachdem die Frauen an unserem zweiten Standort vorbei gelaufen sind, nutzen wir die Zeit für einen kurzen Power-Nap im Hotel, bevor wir uns Richtung Ziel begeben.
Für das heutige Rennen haben wir leider keine Karten für den Zieleinlauf, der deutlich spannender werden sollte, als der der Männer.

So positionieren wir uns einen Kilometer vor dem Ziel und warten auf die ersten Damen.
Auch heute ist die Stimmung an der Strecke wieder fantastisch und jede Läuferin wird beklatscht und angefeuert.

Olympischer Rekord

Wie schon bei den Männern fällt auch heute der Olympische Rekord. Sifan Hassan gewinnt in 2:22:55. Was für eine Leistung.

Als die vermeintlich letzte Frau an uns vorbeigelaufen ist, begeben wir uns an die Seine, um den Rest des Tages am Fluss auszuruhen und zu lesen.
Leider haben wir die wirklich letzte Frau verpasst, da wir dachten, dass sie das Rennen vorzeitig beendet hat, was wir im Nachhinein richtig schade fanden.

Irgendwann heißt es dann Abschied nehmen und es geht mit den Rädern zum Gare de l’Est.
Gegen 24 Uhr schließen wir unsere Haustür auf. Nach gut 4 Stunden Bahnfahrt sind wir wohlbehalten in der Heimat angekommen. Es fühlt sich an, als wären wir zwei Wochen weg gewesen, so viele Eindrücke haben wir in drei Tagen Olympia gesammelt.

Fazit zu Paris und dem Marathon Pour Tous

Die Bilder aus Paris waren ja schon im Fernsehen spektakulär. Das Ganze vor Ort zu erleben, ist aber nochmal ein ganz anderes Level.

Ich war ja schon ein paar Mal in Paris, unter anderem zweimal zum Paris Marathon, aber die Stadt hat sich wirklich unglaublich zum Positiven gewandelt.
Paris war ja bereits eine unglaublich schöne Stadt, aber durch die Verkehrswende hat sie eine ganz neue Qualität gewonnen. Da können sich Deutsche Städte gerne eine Scheibe abschneiden.
Es ist doch irgendwie schöner, wenn man nicht permanent von Autolärm und Abgasen umgeben ist.

Marathon Pour Tous Radparadis

Auch ein tolles Detail, das zur Nachahmung einlädt, sind die 1200 öffentlichen Trinkwasserbrunnen, die in der ganzen Stadt errichtet wurden.

Was auch sehr auffällig war, wie unglaublich freundlich und begeistert die Pariser waren.
Selbst die Sicherheitskräfte waren extrem entspannt und freundlich. Das war schon fast etwas befremdlich.

Paris hat in meinen Augen bei diesen Spielen auf sehr vielen Ebenen sehr viel richtig gemacht. Und dazu gehört auch der Marathon Pour Tous. Spiele für alle.
Ich würde mich freuen, wenn dieser Marathon für die Allgemeinheit zu einer Olympischen Tradition werden würde, damit möglichst viele Sportler einmal die Chance bekommen, bei so einem Marathon dabei zu sein.
Leider kann ich mir so ein Event in Los Angeles nicht wirklich vorstellen. Aber wir werden sehen. Vielleicht werden wir ja überrascht.

Für mich wird der Marathon Pour Tous wohl auf ewig mein Marathon-Highlight bleiben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man das noch übertreffen kann.

So bleibt mir nur zu sagen:
Merci, Paris!

Marathon Pour Tous Die Medallie

Strava Aktivität zu diesem Rennen

Infos zum Marathon Pour Tous auf der Veranstalter Webseite